Klagelieder 3
Schlachter 1951
Leiden und Trost
3 Ich bin der Mann, der tief gebeugt worden ist
durch die Rute seines Zorns.
2 Mich hat er verjagt und in die Finsternis geführt
und nicht ans Licht.
3 Nur gegen mich kehrt er immer wieder den ganzen Tag seine Hand.
4 Er hat mein Fleisch und meine Haut verschlungen
und meine Knochen zermalmt.
5 Er hat rings um mich her
Gift und Drangsal aufgebaut.
6 In dunkeln Höhlen läßt er mich wohnen
wie längst Verstorbene.
7 Er hat mich eingemauert, daß ich nicht herauskommen kann;
mit ehernen Ketten hat er mich beschwert.
8 Ob ich auch schreie und rufe,
verstopft er doch die Ohren vor meinem Gebet.
9 Quadersteine legt er mir in den Weg,
krümmt meine Pfade.
10 Er lauert mir auf wie ein Bär,
wie ein Löwe im Dickicht.
11 Er hat mich auf Abwege gebracht,
ist über mich hergefallen und hat mich arg zugerichtet.
12 Er hat seinen Bogen gespannt
und mich dem Pfeile zum Ziel gesetzt.
13 Er hat mir seines Köchers Söhne
in die Nieren gejagt.
14 Ich bin allem Volk zum Gelächter geworden,
ihr Liedlein den ganzen Tag.
15 Er hat mich mit Bitterkeit gesättigt,
mit Wermut getränkt.
16 Er ließ meine Zähne sich an Kies zerbeißen,
er hat mich mit Asche bedeckt.
17 Und du hast meine Seele aus dem Frieden verstoßen,
daß ich des Glückes vergaß.
18 Und ich sprach: Meine Lebenskraft ist dahin,
meine Hoffnung auf den Herrn.
19 Sei eingedenk meines Elends, meiner Verfolgung,
des Wermuts und des Gifts!
20 Beständig denkt meine Seele daran
und ist tief gebeugt!
21 Dieses aber will ich meinem Herzen vorhalten,
darum will ich Hoffnung fassen:
22 Gnadenbeweise des Herrn sind's, daß wir nicht gänzlich aufgerieben wurden,
denn seine Barmherzigkeit ist nicht zu Ende;
23 sie ist alle Morgen neu,
und deine Treue ist groß!
24 Der Herr ist mein Teil, spricht meine Seele;
darum will ich auf ihn hoffen.
25 Der Herr ist gütig gegen die, welche auf ihn hoffen,
gegen die Seele, die nach ihm fragt.
26 Gut ist's, schweigend zu warten
auf das Heil des Herrn.
27 Es ist einem Manne gut,
in seiner Jugend das Joch zu tragen.
28 Er sitze einsam und schweige,
wenn man ihm eines auferlegt!
29 Er stecke seinen Mund in den Staub;
vielleicht ist noch Hoffnung vorhanden!
30 Schlägt ihn jemand, so biete er ihm den Backen dar
und lasse sich mit Schmach sättigen!
31 Denn der Herr
wird nicht ewig verstoßen;
32 sondern wenn er betrübt hat,
so erbarmt er sich auch nach der Größe seiner Gnade.
33 Denn nicht aus Lust
plagt und betrübt Er die Menschenkinder.
34 Wenn alle Gefangenen eines Landes
mit Füßen getreten,
35 wenn das Recht eines Mannes
vor dem Angesicht des Höchsten gebeugt,
36 die Rechtssache eines Menschen verdreht wird,
- sollte der Herr es nicht beachten?
37 Wer hat je etwas gesagt und es ist geschehen,
ohne daß der Herr es befahl?
38 Geht nicht aus dem Munde des Höchsten
das Böse und das Gute hervor?
39 Was beklagt sich der Mensch?
Es hätte sich wahrlich jeder über seine Sünde zu beklagen!
40 Lasset uns unsere Wege erforschen und durchsuchen
und zum Herrn zurückkehren!
41 Lasset uns unsere Herzen samt den Händen
zu Gott im Himmel erheben!
42 Wir sind abtrünnig und widerspenstig gewesen;
das hast du nicht vergeben;
43 du hast dich im Zorn verborgen und uns verfolgt;
du hast uns ohne Gnade erwürgt;
44 du hast dich in eine Wolke gehüllt,
daß kein Gebet hindurchdrang;
45 du hast uns zu Kot und Abscheu gemacht
unter den Völkern!
46 Alle unsere Feinde
haben ihr Maul gegen uns aufgesperrt.
47 Grauen und Grube wurden uns beschieden,
Verwüstung und Untergang.
48 Es rinnen Wasserbäche aus meinen Augen
wegen des Untergangs der Tochter meines Volkes.
49 Mein Auge tränt unaufhörlich;
denn da ist keine Ruhe, -
50 bis der Herr
vom Himmel herabschauen und dareinsehen wird.
51 Was ich sehen muß, tut meiner Seele weh
ob aller Töchter meiner Stadt.
52 Die mich ohne Ursache hassen,
stellten mir heftig nach wie einem Vogel;
53 sie wollten mich in der Grube ums Leben bringen
und warfen Steine auf mich.
54 Die Wasser gingen über mein Haupt;
ich sagte: Ich bin verloren!
55 Aber ich rief, Herr, deinen Namen an,
tief unten aus der Grube.
56 Du hörtest meine Stimme:
„Verschließe dein Ohr nicht vor meinem Seufzen, vor meinem Hilferuf!“
57 Du nahtest dich mir des Tages, als ich dich anrief,
du sprachest: Fürchte dich nicht!
58 Du führtest, o Herr, die Sache meiner Seele,
du rettetest mir das Leben!
59 Du hast, o Herr, meine Unterdrückung gesehen;
schaffe du mir Recht!
60 Du hast all ihre Rachgier gesehen,
alle ihre Anschläge wider mich;
61 du hast, o Herr, ihr Schmähen gehört,
alle ihre Pläne gegen mich,
62 die Reden meiner Widersacher
und ihr beständiges Murmeln über mich.
63 Siehe doch: ob sie niedersitzen oder aufstehen,
so bin ich ihr Spottlied.
64 Vergilt ihnen, o Herr,
nach dem Werk ihrer Hände!
65 Gib ihnen Verstockung ins Herz,
dein Fluch komme über sie!
66 Verfolge sie in deinem Zorn
und vertilge sie unter dem Himmel des Herrn hinweg!
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